Bericht Nr. 2

Dienstag, 04.03.2014

Südafrika (er)leben

Halbzeit – ich hätte nie gedacht, dass 6 Monate so schnell vergehen können. 6 Monate mit schönen Erlebnissen, wichtigen Erfahrungen, tollen Menschen, interessanten Projekten, der ein oder anderen Schwierigkeit und natürlich vielen Herausforderungen. Schon jetzt weiß ich, dass sich die Zeit hier definitiv gelohnt hat und ich sehr viel mitnehmen konnte. Insgesamt bin ich schon jetzt deutlich selbstständiger, entspannter und sicherer geworden. Ich habe einfach schon viel gelernt – nicht zuletzt Englisch. Nach einem halben Jahr kann ich auf jeden Fall sagen, dass ich mich eingelebt habe und mich wirklich zu Hause fühle.

Auch bei Isibani habe ich mittlerweile meinen Platz gefunden. Meine Hauptaufgabe ist nach wie vor die Organisation von Baby Day Care und Crèche. Das heißt, ich bin zum einen für die praktischen Dinge zuständig: Kontrolle der Anwesenheit, Verwaltung der Gebühren, Aufnahmeformalitäten, Aktenübersicht und Beschaffung notwendiger Materialien. Allerdings möchte ich wieder mehr mit den Kindern arbeiten, zu denen ich eine richtig gute Beziehung habe. Deshalb will ich ihnen eine möglichst gute Betreuung bieten können. Viele neue Ideen zur besseren Förderung ergeben sich durch die Zusammenarbeit mitSingakwenza, einer Organisation, die Training für Erzieher anbietet. Ein wichtiger Bestandteil ist die Umstrukturierung des Tagesablaufs, sodass den Kindern noch mehr Routine und neue Aktivitäten bekommen. Es gibt bereits einen ausgearbeiteten Plan, der im Prinzip nur umgesetzt werden muss, was ich mir nun als Ziel für die zweite Hälfte meines Einsatzes gesetzt habe. Darüber bin ich froh, weil manchmal etwas die Motivation fehlen kann, wenn ein Projekt abgeschlossen ist und man noch kein neues Ziel vor Augen hat. Jetzt hoffe ich, dass ich die Neuerungen bis August einführen kann, obwohl das wahrscheinlich auch nicht ganz einfach werden wird. Die Schwierigkeit besteht darin, dass nicht alles auf einmal verändert werden kann, sondern nur in kleinen Schritten, sodass man einiges an Geduld aufbringen muss. Außerdem habe ich noch andere Aufgaben, weshalb ich oft nicht die Zeit finde, wirklich kontinuierlich an einem Ziel zu arbeiten.

Zu meinen weiteren Verantwortlichkeiten gehört zum einen derCharity Shop. Eigentlich müsste der gesamte Lagerraum sortiert und aufgeräumt werden, was aber sehr viel Arbeit ist. Da Isibani momentan nur wenige Mitarbeiter hat, bekomme ich nicht viel Hilfe. Außerdem gibt es wichtigere Projekte und so bleibt Aufräumarbeit meistens auf der Strecke. Des Weiteren bin ich für Special Needs bzw. CP Day zuständig. Das bedeutet, ich bereite die Räume vor und helfe den Therapeuten. Jetzt soll ich mich zweimal pro Woche mit einem Kind mit CP Übungen machen, damit es irgendwann laufen lernen kann. Ansonsten gebe ich einmal die Woche zusammen mit Freya Religionsunterricht.Wir haben eine neue Klasse übernommen, was sich als Glück herausgestellt hat: Die Schüler sind nicht so unruhig und machen auch bei Diskussionen mit. Ab und zu finde ich es aber immer noch schwierig, zu überlegen, wie man Inhalte am besten vermittelt, schließlich bin ich ja keine ausgebildete Lehrerin.

Einige Veränderungen gab es beim Clinic Day: Da nur ausgebildete Mitarbeiter des Krankenhauses HIV-Medikamente ausgeben dürfen, muss das gesamte System neu überdacht werden. Bei Isibani können nun keine Medikamente mehr gelagert werden, wodurch sich logistische und organisatorische Schwierigkeiten ergeben. Momentan wird deshalb ein neues System entwickelt, das die Leute in vier Gruppen einteilt, sodass jeden Montag eine Medikamentenausgabe stattfinden kann.

Im Isibani Team gab es in der Vergangenheit einige interne Konflikte, die ich zwar oft nicht richtig mitbekommen habe, die aber für die gesamte Atmosphäre belastend waren. Einige Kollegen sind gegangen, weshalb wir in letzter Zeit manchmal Schwierigkeiten hatten, alle Aufgaben abzudecken. Das wird sich aber bald ändern. Ich komme mit allen im Team gut zurecht, worüber ich sehr froh bin. Das einzige, was mir immer noch gelegentlich Probleme bereitet, ist die Sprache: Da ich nur ein paar Wörter Zulu kann, bin ich auf Übersetzungen angewiesen, was mir zwar nicht mehr so viel ausmacht wie am Anfang, aber schon oft hinderlich ist. Kulturunterschiede fallen mir mittlerweile nicht mehr so sehr auf wie am Anfang. Allerdings gibt es Kleinigkeiten, die die Zusammenarbeit erschweren. Das beste Beispiel dafür ist Unzuverlässigkeit: Es ist sehr schwer, ein Ferienprogramm zu planen, wenn man nicht weiß, wer helfen wird und deshalb jeden Tag das Programm ändern muss.

Was mich hingegen immer wieder beeindruckt, ist der Umgang mit Religion und Glauben. Nicht nur bei den Zulus, sondern v.a. auch in den verschiedenen Gemeinden in Winterton. Die Menschen sind sehr viel religiöser als ich das von Deutschland kenne und gehen deutlich offener damit um. Während in Deutschland immer weniger Leute in die Kirche gehen, gehört es hier dazu, dass man sich sonntags im Gottesdienst trifft. Schön finde ich auch, dass  viele eine sehr persönliche Beziehung zu Gott haben. Mit einigen Ansichten wiederum bin ich nicht einverstanden, z.B. die oft wörtliche Auslegung der Bibel. Aber auch kritisieren und diskutieren ist wichtig, weil einem deutlicher wird, was man selbst glaubt.

Ich denke, ihr starker Glauben gibt den Menschen Halt und hilft ihnen mit den vielen Problemen umzugehen, die Südafrika immer noch hat. Auch wenn das Land sich gut entwickelt hat, gibt es noch sehr viele Bereiche, wo dringend Veränderungen passieren müssten. Die Armut ist groß und die Kriminalitätsrate sehr hoch. Auch ich bekomme das immer wieder mit: Allein die Geschichten der Kinder beim Place ofSafetyreichen aus. Es ist  nicht leicht zu wissen, dass das Kind, das vor einem steht, vom eigenen Vater missbraucht wurde. Auch möchte ich nicht noch einmal einen Einbruch miterleben - das eine Mal hier war genug und ist ja auch glücklicherweise gut ausgegangen. Das Problem bei alldem ist, dass Polizei und Gesundheitssystem längst nicht den Standard erfüllen, der notwendig wäre. Es muss sich also noch einiges tun – hoffentlich schafft die Politik es irgendwann, wichtige Probleme anzugehen.

Über solche und viele andere Themen haben wir auch beim Zwischenseminar gesprochen. Zum Beispiel ging es um Erwartungen, Motivation, Zielsetzung und Erfolge, aber auch um Herausforderungen und Probleme. Es war gut, sich mit anderen Freiwilligen austauschen zu können und mir hat sich noch mal bestätigt, dass ich großes Glück mit meiner Einsatzstelle habe. Ein Thema war außerdem der Abschied und die Rückkehr nach Deutschland. Es war komisch, sich darüber Gedanken zu machen, weil es noch in so weiter Ferne scheint. Aber die Zeit wird wahrscheinlich noch schneller vergehen als bisher und ganz plötzlich fliegt man schon wieder zurück…

Zu guten Freunden und meiner Familie in Deutschland habe ich weiterhin regelmäßig Kontakt – das Internet macht es möglich. Ich hätte nicht gedacht, dass das insgesamt so gut funktionieren würde. Positive Rückmeldungen bekomme ich auch zu meinem Blog (anne-in-suedafrika.auslandsblog.de), weil dadurch alle, die wollen, einen recht genauen Einblick in mein Leben und die Arbeit bekommen können. Heimweh ist deshalb für mich kein großes Thema mehr. Am Anfang gab es schon hin und wieder Situationen, wo ich Deutschland vermisst habe und Weihnachten ohne die Familie zu feiern war auch nicht leicht. Mittlerweile habe ich mich aber einfach gut eingelebt und freue mich jetzt auf den Besuch von meiner Familie.

Froh bin ich auch, dass Freya und ich mittlerweile ein paar Freunde gefunden haben. Anfangs war das sehr schwierig, weil es in Winterton und Umgebung kaum junge Leute gibt: Die meisten studieren in anderen Städten und kommen nur in den Ferien zu ihren Familien nach Hause. Das gilt auch für die meisten Freunde, die wir haben, sodass wir uns nicht so oft sehen können. Das ist einerseits sehr schade, andererseits bieten sich so auch Möglichkeiten, andere Städte in Südafrika zu sehen, weil man jemanden besuchen kann. Ein Vorteil ist auch das große Netzwerk von ELM-Freiwilligen in Südafrika. Dadurch bekommen wir immer mal wieder Besuch von Freiwilligen oder fahren selbst irgendwo hin. Hier vor Ort ist es aber einfach schwierig mit Menschen auf freundschaftlicher Basis in Kontakt zu kommen. Leute kommen zu Isibani, weil sie in irgendeiner Form Hilfe brauchen. Deshalb ist unsere Beziehung zu ihnen zwar immer hilfsbereit und freundlich, aber trotzdem auch distanziert, was vollkommen in Ordnung aber keine gute Grundlage für Freundschaft ist. Was mir auch schwer fällt, ist das Wissen, dass man sich wahrscheinlich nie wieder sieht: Ich weiß nicht, wann ich wieder nach Südafrika kommen kann. Deshalb ist es umso besser, dass ich mich mit Freya so gut verstehe. Ich bin froh, jemanden zu haben, der in derselben Situation ist und mit dem ich mich austauschen kann.  Da wir zusammen wohnen, haben wir uns in dieser relativ kurzen Zeit schon sehr gut kennengelernt. Was, denke ich, auch wichtig ist, sind unsere unterschiedlichen Projekte und Arbeitszeiten: Dadurch sind wir nicht rund um die Uhr zusammen und können einfach unsere Freizeit miteinander verbringen.

Weil der Alltag jetzt keine so große Herausforderung mehr ist wie am Anfang, haben wir mittlerweile auch Zeit und Lust, etwas zu unternehmen. Weil die Drakensberge ja nicht weit entfernt sind, waren wir in letzter Zeit viel wandern. Ein Highlight bisher war unser gemeinsamer Urlaub in Port Shepstone am Meer, den wir sehr genossen haben. Südafrika ist so vielfältig, dass man gar nicht weit reisen muss und schon eine komplett andere Landschaft vor sich hat. Ich bin wirklich froh, dass ich die Gelegenheit habe, ein bisschen was von diesem wunderschönen Land zusehen zu bekommen und hoffe, dass noch ein paar weitere Aspekte dazukommen werden.

Ich bin gespannt, was die nächsten 6 Monate bringen – hoffentlich viele weitere schöne Erlebnissen, wichtige Erfahrungen, tolle Menschen, interessante Projekte und die ein oder andere Herausforderung.